Was ist uns ein Kinderleben wert?

Ein wegen angeblicher Folterandrohung im Dienst verurteilter Polizeibeamter erinnert sich

Benedikt Vallendar

lit-vallendar-metzlerDas Buch hinterlässt einen fahlen Nachgeschmack. Wie hätte ich reagiert, wäre ich der ermittelnde Beamte gewesen? Hätte ich das Leben des Kindes retten oder die formale Rechtssphäre des mutmaßlichen Täter wahren wollen? Diese Frage wird sich jeder stellen, der das Buch gelesen hat.

Der Fall des im Oktober 2002 entführten und ermordeten Bankierssohn Jakob von Metzler (geboren 1991) gehört wohl zu den spektakulärsten Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Der Täter: Magnus Gäfgen (Jahrgang 1975), ein Frankfurter Jura-Student kurz vor dem Examen, der Geld brauchte, um das luxuriöse Leben seiner damals 16-Jährigen Freundin finanzieren zu können. Eine Million hat der angehende Jurist im September 2002 von den Eltern des kleinen Jakob erpresst und das Geld nachts selbst am vereinbarten Treffpunkt in Alditüten abgeholt. Bei seiner Festnahme bestritt er zunächst, etwas mit der Tat zu tun zu haben. Mehr noch: Er behauptete,  frühere Bekannte seien in die Tat verwickelt, was sich kurze Zeit später als frei erfunden herausstellte.

Noch nie hat es in der Bundesrepublik einen Fall wie diesen gegeben: Nach tagelangen Vernehmungen hatte Kriminalhauptkommissar Ortwin Ennigkeit auf Weisung des damaligen Frankfurter Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner, einem Volljuristen, dem Entführer des elfjährigen Jakob von Metzler die »Zufügung von Schmerzen« angedroht, falls er nicht endlich das Versteck des Kindes verrate. Zur tatsächlichen Anwendung von Gewalt kam es nicht, die Drohung genügte. Doch die Hoffnung, den Wettlauf gegen die Zeit zu gewinnen und Jakobs Leben zu retten, erfüllte sich nicht: Magnus Gäfgen hatte den Jungen bereits unmittelbar nach der Entführung in seiner Wohnung getötet und die Leiche des kleinen Jakob in einem See versenkt.

In der Folge entbrannte eine beispiellose rechtspolitische Diskussion über »Folter«: In wahren Leserbrieffluten wurden die Ermittler als Helden gefeiert, während sie sich vor Gericht wegen Verletzung der Menschenwürde verantworten mussten – und zu einer Geldstrafe auf Bewährung verurteilt wurden.

Zum ersten Mal erzählt der Ermittler Ortwin Ennigkeit von der schwersten Entscheidung seines Lebens: Was wiegt schwerer: Die Menschenwürde des Tatverdächtigen oder die Menschenwürde des entführten Kindes?

Ortwin Ennigkeit, Barbara Höhn
Um Leben und Tod. Wie weit darf man gehen, um das Leben eines Kindes zu retten? Der Fall Jakob von Metzler – Protokoll eines Verbrechens
Heyne Verlag, München. Paperback, Klappenbroschur,
272 Seiten, € 16,99
ISBN: 978-3-453-17216-6

Veröffentlicht von on Sep 26th, 2011 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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