Recht cineastisch, Teil 11: Lars von Triers „Melancholia“
Thomas Claer
Was soll man von einem Filmregisseur halten, der auf einer Pressekonferenz der Welt erklärt, dass er Verständnis für Adolf Hitler aufbringe und sogar ein Stück weit mit ihm sympathisiere, um angesichts der entsetzten Blicke der Anwesenden noch eins draufzusetzen mit den Worten: „O.K., ich bin ein Nazi.“? Obwohl noch am selben Tag das Dementi folgte mit dem Nachschub, alles sei nur ein Scherz gewesen, hat das ganze jetzt auch ein juristisches Nachspiel. Hat also Lars von Trier, der mit seinen grobkörnig verwackelten Dogma-Filmen in den Neunzigern nicht weniger als eine neue Filmästhetik begründete, inzwischen den Verstand verloren? Wer sein neuestes Werk „Melancholia“ gesehen hat, wird alle Zweifel an ihm begraben. Auch wenn er heute natürlich längst mit deutlich größerem Budget arbeitet als seinerzeit und in seinen Filmen Darsteller von Rang aufbieten kann, so ist er seinem radikal ästhetischen Konzept doch mehr als treu geblieben. Unter pathetischen Wagner-Klängen, die angesichts des sich anbahnenden schaurig-schönen Weltuntergangs in der kosmischen Katastrophe hier ausnahmsweise ihre Berechtigung haben, treffen wir zunächst auf eine scheinbar rundum glückliche Hochzeits-Gesellschaft. Doch wie immer ist bei Lars von Trier nichts so, wie es scheint. Der betörend schönen, aber schwer depressiven Braut Justine (umwerfend gespielt von Kirsten Dunst, die sonst in hochkommerziellen Hollywood-Machwerken wie „Spiderman“ zu sehen ist) platzt der Kragen, als ihr ebenfalls auf der Hochzeit weilender Chef aus der Marketing-Firma mit üblen Personal-Spielchen aufwartet. Schließlich kann sie auch ihre exzentrische Mutter und ihren mediokren Bräutigam nicht mehr länger ertragen und lässt alles platzen. Zurückgezogen, von Job und Mann befreit, erholt sich Justine sodann mit Schwester, Schwager und kleinem Neffen von ihrem Zusammenbruch, während sich der von der Mehrzahl der Protagonisten zunächst hartnäckig geleugnete, dann aber nicht mehr länger verdrängbare vagabundierende Planet Melancholia unaufhaltsam der Erde nähert und letztlich mit ihr kollidiert. Der Film bietet dabei ein Spektakel wundervoll-schrecklicher Bilder, so auch wenn sich Justine frivolerweise im hellen Schein des Schreckens-Planeten in voller Pracht nackt auf einem Felsen räkelt. Mag sein, dass da auch ein wenig Leni Riefenstahl mitschwingt. Seine politische Haltung hat Lars von Trier jedoch in den vergangenen Jahren unmissverständlich und zur Genüge nicht nur in seinen Filmen, sondern auch durch sein Engagement gegen die rechtspopulistische Dänische Volkspartei dokumentiert. Und das drohende Gerichtsverfahren? Wir plädieren in seinem Fall für äußerste Milde. Weil er es ist.
Melancholia
Dänemark / Schweden / Frankreich / Deutschland 2011
Regie: Lars von Trier
Drehbuch: Lars von Trier
130 Minuten
Darsteller: Kirsten Dunst, Alexander Skarsgård, Kiefer Sutherland, Charlotte Gainsbourg, Charlotte Rampling u.v.a.