Die DDR aus Sicht der Stasi

Durch ihren Geheimdienst war die SED-Führung bis 1989 bestens über die wahre Lage im Land informiert – doch reagiert hat sie nicht

Benedikt Vallendar

41t0olzolol_bo2204203200_pisitb-sticker-arrow-clicktopright35-76_aa300_sh20_ou03_Göttingen / Berlin – Immer gab es zwei Wahrheiten über die DDR: Die der westdeutschen Medien und die der parteigesteuerten Medien in der DDR selbst. Beide unterschieden sich bekanntlich diametral voneinander. Doch so unterschiedlich, wie sie auf den ersten Blick schienen, waren sie in Wirklichkeit nicht. Denn auch die Einheitspartei SED wusste sehr genau, wie es um das von ihr beherrschte Land zwischen Oder und Elbe bestellt war. Insgeheim wusste die SED sogar, dass das, was westdeutsche Medien über die DDR schrieben, häufig der Wahrheit entsprach. Freie Wahlen, die das politische Meinungsbild in der Bevölkerung bekanntlich am ehesten widerspiegeln,  kennt eine Diktatur nicht. Auch der DDR war dieses Instrumentarium fremd. Mithin unterhielt die SED seit 1965 zur Erkundung der wahren Stimmung im Land eine eigene Diensteinheit, die „Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe“ (ZAIG) als Teil der Staatssicherheit. Historiker haben nun erstmals Berichte der ZAIG aus dem Jahre 1977, als der Liedermacher Wolf Biermann die DDR-Staatsbürgerschaft entzogen bekam und die Macht der SED bereits zu bröckeln begann, zusammengestellt und ausgewertet. In diesen Berichten, die zu DDR-Zeiten als „streng geheim“ galten, wird aus Sicht der Stasi ungeschminkt offen gelegt, was im ostdeutschen Staat bis 1989 alles schief lief. Die Staatssicherheut liest ihrer Staatsführung darin zum Teil ganz schön die Leviten, auch wenn die Berichte zum Teil recht verklausuliert formuliert sind. Im Mittelpunkt stehen die Bereiche Konsum, Jugend und Kirchen. Denn immer wieder kam es in der DDR zu Versorgungsengpässen, und immer wieder bildeten sich unter dem Dach der Kirchen Gruppen und Grüppchen junger Leute, die aus ihrer ablehnenden Haltung zum SED-Staat keinen Hehl machten.
Die Stasi konnte die Probleme indes nur diagnostizieren, derweil die SED auf Repression statt Therapie setzte. Das Besondere an dem Buch: Es zeigt, wie die Stasi arbeitete und ermöglicht dem Leser einen Einblick in Lebensbereiche der DDR, die bislang als terra inkognita galten.

Die DDR im Blick der Stasi. Die geheimen Berichte an die SED-Führung.

1977. Bearbeitet von Henrik Bispinck.

Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012

Veröffentlicht von on Dez 24th, 2012 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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