Wo bleibt die Leidenschaft?

Der Philosoph Byung Chul Han untersucht die „Agonie des Eros“

Marguerite Thierry

cover-agonieIn seinem aktuellen Essay Agonie des Eros (2012) analysiert der gegenwärtig sehr angesagte Philosoph Byung Chul Han (derzeit UdK Berlin) für uns das Liebesgefühl und jenes Abhängigkeitsverhältnis von Menschen zueinander, das man implizit unter dem Eros versteht. Er legt nicht weniger als eine Kritik von zahlreichen Analysen des Eros vor. Autoren sowie Künstler aus unterschiedlichen Bereichen von der Antike bis zum XXI. Jahrhundert werden von ihm zitiert. Laut dem koreanischstämmigen Philosophen kann die Erotik sogar bis hin zur Abneigung gegen die Anderen führen. In der heutigen Gesellschaft suchen die Menschen in der Liebe aber meist nur die Bestätigung ihrer selbst. Die sich ausbreitende Hyperkommunikation durch die digitalen Medien vernichtet dabei die Nähe zwischen den Menschen und die allgegenwärtige „Hypervisibilität“ macht sie blind. Unsere Konsumgesellschaft ist für ihn eine „Ausstellungsgesellschaft“, in der die Pornographisierung der Welt im Tod der erotischen Kommunikation endet. Zudem führt die Krise der Kommunikation aber auch zu einer Krise der Literatur. Von der Liebe bleibt schließlich nur ein „mangelhaftes Begehren“ übrig, haltlos und ohne Eros.
Der Verfasser unterlässt er es aber leider völlig, von der Leidenschaft zu sprechen, die doch auch ein Teil der Liebe ist und sich von dem bloßen Begehren unterscheidet. Kann man die Liebe wirklich nur als eine drei-teilige Kombination aus Begehren, Mut und Vernunft betrachten? Ist sie nicht auch ein Produkt der Leidenschaft? Immerhin haben Theoretiker von Aristoteles bis Hegel die Leidenschaft als ein wichtiges Element der Philosophie angesehen. Da ist es doch schade, dass sie in diesem Essay nicht einmal genannt wird. Ist sie etwa nicht mindestens ebenso mächtig wie die Vernunft? Man könnte sie sogar durchaus als mächtiger als die Vernunft betrachten, denn sie scheint zumindest nicht vollständig kontrollierbar zu sein. Die vom Verfasser beschriebene Agonie des Eros wäre dann sozusagen nur eine Agonie der vernünftigen Liebe, die sich als anders als die Anderen erkennt. Aber zum Glück haben wir ja noch die Leidenschaft, um uns zu retten!

Byung Chul Han
Agonie des Eros
Matthes & Seitz Berlin 2012
3 Seiten, 10,00 €
ISBN-10: 3882219734

Veröffentlicht von on Sep 2nd, 2013 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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