Eine Studie ermittelt die angesagtesten Stadtviertel für junge Leute
Thomas Claer
Das ist doch mal eine gute Idee: Statt sich endlos weiter darüber zu streiten, ob nun Berlin-Friedrichshain der angesagteste Ort auf Erden ist oder doch eher der hippe Norden von Neukölln, hat die Research-Abteilung der GBI AG (das ist ein Immobilien-Projektentwickler, sic!) eine groß angelegte Untersuchung darüber durchgeführt, welche Gegenden unserer Großstädte aus welchem Grund von jungen Leuten bevorzugt werden. Es ist gewissermaßen der Versuch einer Objektivierung dessen, was sonst als reichlich subjektiv wahrgenommen wird. Grundlage dieser Studie sind jeweils 15 Faktoren von der demographischen Struktur über Zu- und Fortzüge bis zum Immobilien- oder Gastronomieangebot, anhand derer die Mikro-Wohnlagen der Städte Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf unter die Lupe genommen wurden. (Mikro-Wohnlagen, d.h. Wohnbereiche von 500 mal 500 Meter, deshalb, weil oft nur wenige Schritte über das „Hot or not“ der Wohnlage entscheiden.)
Im einzelnen flossen die WG-Nachfrage relativ zum Durchschnitt der Stadt (10%), die WG-Angebote relativ zum Durchschnitt der Stadt (2,5%), der Fluktuationsindex (5%), der Wanderungssaldo (7,5%), der prozentuale Anteil der 20-25-Jährigen im Stadtteil (5%), die absolute Anzahl der 20-25-Jährigen (5%), die 20-25-Jährigen in Relation zur Stadtteil-Fläche (2,5%), der Anteil der Ein-Personen-Haushalte (7,5%), die absolute Zahl der Einpersonenhaushalte (2,5%), der Anteil der Wohnungen in Mehrparteien-Gebäuden (10%), die Kneipendichte (10%), der preisliche WG-Nachfrage-Mittelwert (12,5%), der preisliche WG-Angebots-Mittelwert (10%) sowie der Preis der Angebotsmieten gem. Immobilienscout (5%) in die Gesamtberechnung ein. Die so theoretisch erreichbare Maximalpunktzahl eines Wohngebiets liegt bei 100 Punkten.
Für Berlin ergibt sich demnach auf der Ebene der Stadtbezirke bzw. größerer Stadtbezirksabschnitte folgendes Bild:
1. Kreuzberg (97)
2. Mitte (95)
3. Friedrichshain (92)
4. Schöneberg (87)
5. Wedding (82,5)
6. Prenzlauer Berg (81)
7. Charlottenburg (80,5)
8. Wilmersdorf (80)
9. Moabit (77,5)
10. Neukölln (72,5)
11. Tiergarten (70,5)
12. Gesundbrunnen (70)
13. Pankow (68,5)
14. Rummelsburg (63,5)
15. Hansaviertel (63)
Klar, die Kreuzberger Nächte sind inzwischen (mindestens!) wieder so lang wie in den 70ern und 80ern, als der Mythos des Bezirks geboren wurde. Und wer hätte das gedacht: Das aufstrebende Wedding liegt jetzt schon vor dem neubürgerlichen und zunehmend „wilmersdorfisierten“ Prenzlauer Berg! Noch vor ein paar Jahren wäre das völlig unvorstellbar gewesen. Aber dass das in den letzten Jahren von Hipstern aus aller Welt okkupierte Neukölln unattraktiver sein soll als das noch immer wenig glamouröse Moabit, mag man kaum glauben. Laut www.wg-gesucht.de, die immerhin nach Angaben der Seitenbetreiber auf monatlich 7 Millionen Besucher kommt, sind die derzeit beliebtesten Stadtteile Berlins für WG-Zimmer (Abruf 9.8.14, 18:44 Uhr): Neukölln (811) Friedrichshain (656) Kreuzberg (600) Wedding (549) Prenzlauer Berg (507) Mitte (465) Schöneberg (290) Charlottenburg (285) Lichtenberg (138) Tiergarten (120). Es ist also zu befürchten, dass auch diese aufwendige Studie aufgrund methodischer Schwächen keine abschließende Antwort auf die Frage nach dem coolsten Ort für junge Leute zu geben vermag.
Was wir den Verfassern der Untersuchung aber sofort abkaufen, sind die zehn uncoolsten Gegenden Berlins auf den Plätzen 87 bis 96:
87. Märkisches Viertel (28)
88. Heiligensee (27,5)
89. Dahlem (27)
90. Plänterwald (27)
91. Frohnau (26,5)
92. Kaulsdorf (25)
93. Wittenau (25)
94. Bohnsdorf (24,5)
95. Lübars (24,5)
96. Wannsee (24,5)
Wer als junger Mensch diese Gebiete meidet, hat vermutlich schon vieles richtig gemacht… Ansonsten aber gilt weiter, was schon Tocotronic in den 90ern wussten: „Es gibt nur cool und uncool und wie man sich fühlt.“