Online-Partnervermittlungen und Dating-Seiten im Selbst-Test
Jochen Barte
Ich erinnere mich noch genau: Es war im Rep, der erste Tag. Ich war wie üblicherweise sonst auch in Vorlesungen zu spät dran. Als ich in den Nebenraum der Gaststätte, in der das Rep stattfand, eintrat, waren die meisten Tische bereits besetzt. Glücklicherweise hatte mir ein Freund einen Platz freigehalten. Ich setzte mich also neben ihn, genau gegenüber eines sehr hübschen Mädels. Insgesamt waren sechs Personen am Tisch. Die Dame ignorierte mich jedoch und ich merkte schnell, dass sie sich offenbar für etwas Besonderes hielt und man sich ihrer Aufmerksamkeit würdig erweisen musste. Also wandte ich ein klassisches Flirtmittel aus Omas und Opas Mottenkiste an: Statt mich darum zu bemühen, mit ihr ins Gespräch zu kommen, zeigte ich ihr ebenfalls die kalte Schulter. Nach ein paar Tagen begann meine demonstrative Arroganz Wirkung zu zeigen und meine Tischnachbarin taute auf. Sie hieß Carolin und hatte, oh Wunder, nach fünf Semestern bereits alle Scheine in der Tasche. Ich dagegen quälte mich noch mit dem großen BGB-Schein ab. Sie schien überrascht, offenbar hatte ich einen streberhaften Eindruck gemacht, obwohl mir Jura schon damals ziemlich auf die Nerven ging. Aber Tarnung ist eben manchmal wichtig, nicht nur beim Flirten. Wir lernten uns nach und nach besser kennen. Meine Restmotivation, etwas für das Examen zu tun, war dahin, ich konnte an nichts anderes mehr denken als an meine schöne Tischnachbarin. Gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten, Drittschadensliquidation, gestörte Gesamtschuld, alles rauschte an mir vorüber. Ich war wie in Trance – und schwer verliebt. An Jura war nicht mehr zu denken.
Es blieb bei einem Sommerflirt. Letztlich ist nichts aus uns geworden. Kleine, süße Juristenkinderchen haben wir nicht in die Welt gesetzt. Wahrscheinlich waren wir zu verschieden. Sie ist, glaube ich, dann Richterin geworden, und heute sicher verheiratet mit Doppelnamen an der Bürotür. Verwaltungsjuristinnen sind ja emanzipiert und haben Übung bei der Erzeugung von Hauptwortverbindungen.
Ich dagegen habe irgendwann mit der Juristerei Schluss gemacht und danach auch keine Juristinnen mehr gedated. Das kannte ich ja. Statt mir abends aus dem Palandt vorlesen zu lassen, versuchte ich es mit Vertreterinnen anderer Berufsgruppen: Ärztinnen, Chemikerinnen etc. Das ging gut, denn mittlerweile war das Internet erfunden worden. Man brauchte nicht mehr umständlich „analog“ mit nur einer Frau zu flirten, stattdessen gab und gibt es, um den schönen Satz von Mitt Romney hier einmal wiederzubeleben, bei der Online-Partnersuche „Ordner voller Frauen“ oder auch auch „Ordner voller Männer“ – je nach Präferenz und Geschlecht (soviel Political Correctness muss dann doch sein). Ich war einigermaßen überrascht. So einfach hatte ich mir das nicht vorgestellt. Aber wer einmal den Fragebogen bei einer der führenden Online-Partnervermittlung ausgefüllt hat und bereit ist 30 bis 70 Euro pro Monat zu investieren, kann mit dem Flirten loslegen. Er bekommt entsprechend den Angaben im Fragebogen eine Persönlichkeitsanalyse als Datei zugeschickt, nebst Kontaktvorschlägen, die nach einem Score-Wert gestaffelt sind. Die virtuelle Liebesformel, auch Matching-Point-System genannt. Es ist klar, dass jede Plattform behauptet, sie könne das besonders gut. Man müsse nur möglichst viele der vorgeschlagenen Partner anschreiben. Dann klappe das schon. Statistisch belegbar selbstverständlich.
Ich tat also, wie mir geraten wurde und schrieb fleißig Frauen an, zu denen ich mathematisch passte. Und es schrieben mir auch gelegentlich Frauen, denen ich vorgeschlagen worden war. Für jeden Kontakt wurde im System automatisch ein eigenes Postfach, ein Ordner, generiert. Schöne neue Online-Welt, dachte ich. Jetzt musste man sich nur noch treffen. Und da begann es, wie hätte es anders sein können, kompliziert zu werden. Ich entdeckte bald, dass auch beim Online-Flirten die klassischen Balz-Rituale gelten, und dass die Optik trotz Fotoshop und mangelnder Verifizierbarkeit eine ungebrochen große Rolle spielt. Matching-Point-System hin oder her. Wer ein mieses Bild einstellt, der wird schnell kommentarlos weggeklickt – auch dann wenn er es laut Selbst-beschreibung mit einer einfühlsamen und gebildeten Frau zu tun hat, die Wert auf gute Umgangsformen legt. Mein Bild lag, den Reaktionen nach zu schließen, irgendwo im visuellen Niemandsland. Ich hatte ein 0815-Porträtphoto eingestellt. Einerseits aus Bequemlichkeit, anderseits wollte ich meine Zeit auch nicht mit Frauen verbringen, die auf Poser stehen, und dann womöglich noch herausfinden müssen, dass die Angebetete am Wochenende Rosamunde Pilcher guckt und früher mal in Sascha Hehn verliebt war. Lieber wegklicken lassen.
Umgekehrt scheint es so zu sein, dass ein gewisser Typ Frau – meist blond, das Klischee lässt grüßen – beim Online-Flirten so vorgeht wie die Fischer in der Ostsee. Einmal mit dem Schleppnetz über den Sund: Eine Photostrecke mit einem kurzen „Hi!“ verschicken – und dann gucken, was im Netz hängen bleibt. Die Welt als Wille zur Selbstdarstellung. Petri heil.
Ganz generell gilt natürlich auch hier Mamas Lebensweisheit: Willst du was gelten, mach dich selten. Wenn Frau glaubt, dass sie ins Segment Premium-Weibchen gehört, lässt sie sich mit dem Antworten Zeit oder sie zerbricht ganz einfach die Syntax und verteilt sie unter den Armen, ihren Verehrern. Will heißen: Sie antwortet überlegt knapp und kryptisch. Dann sind die analogen Flirtreflexe wieder gefordert, denn Frau möchte explizit erobert werden.
Hat man schließlich alle Fallstricke des virtuellen Werbens erfolgreich vermieden, Sartre und Bourdieu nicht erwähnt, und auch keine Suggestivfragen gestellt, kommt es in der Regel zum Treffen. Denn letztlich geht es ja in der Welt, das wissen wir seit Schopenhauer, nur darum, dass „jeder Hans seine Grete“ findet. So ist es dann auch bei mir gewesen – bis ich beim zweiten gemeinsamen Wochenende mit ihr zusammen Rosamunde Pilcher gucken musste. Und Sascha Hehn hat sie auch gekannt.
Justament-Autor Jochen Barte ist derzeit wieder Single. Anfragen von Rosamunde-Pilcher-Sascha-Hehn-Frauen zwecklos.