Justament-Klassiker: Alexas Tagebuch, Juli 2004
Liebes Tagebuch,
heute habe ich etwas ganz Grausliches gesehen: eine mündliche Prüfung im zweiten Staatsexamen im JPA Brandenburg. Ich habe nur zugehört, aber mir zittern immer noch die Knie. Warum werden da eigentlich knapp dreißigjährige Absolventen nach Strich und Faden fertig gemacht, wie kleine Kinder?
Der Vorsitzende war ein Richter vom Bundesverwaltungsgericht, also sicherlich juristisch hoch begabt. Er hat außerdem ein Buch über den Aktenvortrag geschrieben. Man sollte also meinen, dass er sich einmal im Leben mit der Seelenlage des Prüflings auseinandergesetzt hat – zumal er seine langjährige Erfahrung als Prüfer auch heute rühmte.
Aber nichts da. Zunächst einmal hörte er sich selber so unheimlich gerne reden. Ist das eigentlich eine typische Eigenschaft von Juristen? Nicht, dass man sich als Prüfling danach sehnen würde, ständig drangenommen zu werden. Aber die Chance, ein bisschen was zu sagen, wäre dann doch ganz schön. Aber sobald ein Prüfling zur Antwort ansetzte, wurde er sofort unterbrochen. „Wiederum! Sagen sie nicht wiederum! Damit legen Sie sich doch jetzt schon fest!“. Wenn jemand eine Frage nicht verstand – nicht alle Prüfer verstehen es, verständlich zu fragen – wurde er angeraunzt: „Na, das ist aber ganz schlecht. Ganz schlecht!“
Das ist ja in so einer Situation schon einschüchternd genug. Aber es kam noch schlimmer. Falsche Antworten wurden mehrfach wiederholt, um dem Prüfling deutlich zu machen, ja, was eigentlich? Wie dumm er war? Was er sich einbildete, hier einem Bundesverwaltungsrichter eine schlechte Lösung zu präsentieren, sozusagen nicht die richtigen Soundwörter raus zu hauen?
„Sie haben uns im Regen stehen lassen.“, hieß es bei der Notenverkündung und es klang fast ein bisschen so etwas wie persönliche Enttäuschung mit. Die ohnehin schon miese Stimmung fand ihren schlechten Höhepunkt, als auch noch ein Prüfling vom VB auf ein befriedigend herunter gestuft wurde.
Laut darf ich das ja nicht fragen, aber wo wir unter uns sind: Gibt es so was wie Gerechtigkeit? In der juristischen Ausbildung tippe ich auf: Nein.
Ich jammere viel darüber, wie wir Referendare behandelt werden. Aber ein angemessener Umgangston ist doch wohl drin. Natürlich wird durch die Note die Leistung ausgedrückt, und wenn sie eben nicht gut war, fällt das Ergebnis entsprechend aus. Wenn aber am Ende das Gefühl überwiegt, dass jemand es bloß ganz furchtbar ausgekostet hat, am längeren Hebel zu sitzen, dann ist das einfach nur noch traurig. Ist das dieser Mythos von der „Feuertaufe“, der letzten harten Prüfung, durch die alle Juristen gehen müssen, um wirklich dazu zu gehören? So ähnlich wie das Duell in der Verbindung oder die Tradition, neue Mitsegler an Bord dazu zu zwingen, verschimmelte Wurst zu essen? Friss oder stirb?
Es ist kein Wunder, wenn man sich als Jurist nicht besonders gerne an seine Ausbildung erinnert. Wirklich erschreckend ist es aber, wieder einmal zu erfahren, was für menschliche Nieten sich hinter hervorragenden Juristen verbergen können.
Deine Alexa
P.S. In Berlin sind die Prüfer angeblich netter. Bis auf diesen einen Staatsanwalt. Wenn man den bekommt, soll man sich krank melden.
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