Zum Tod des „Mosaik“-Zeichners Hannes Hegen

Thomas Claer empfiehlt – Spezial –

digedagsSo etwas wie das „Mosaik von Hannes Hegen“ konnte wohl nur in der DDR entstehen. Verglichen mit westlichen Comics waren diese östlichen Bildgeschichten, die mich durch meine Kindheit und Jugend begleiteten, viel anspruchsvoller in fast jeder Hinsicht. Ein ausgedehnter Fortsetzungsroman aus bunten Heften führte die drei liebenswerten Kobolde Dig, Dag und Digedag in wechselnder Begleitung quer durch alle Länder und Zeiten. Sie bestritten Gladiatorenkämpfe im alten Rom, flogen durch den Weltraum auf fremde Planeten (auf denen es mitunter wie beim westlichen Klassenfeind aussah), zogen um 1284 mit dem Ritter Runkel von Rübenstein aus der deutschen Provinz in den Orient, um nach einem vergrabenen Schatz zu suchen, den ein Vorfahre des Rübensteiners dort einst auf der Flucht vor den Sarazenen angeblich vergraben hatte, verbrüderten sich mit Indianern und versklavten Schwarzen im Amerika des 19. Jahrhunderts, weilten am Hofe des osmanischen Sultans in Konstantinopel.
Die zeichnerische Umsetzung war liebevoll und meisterhaft opulent. Lange Zeit gab es statt Sprechblasen ausführliche Bildunterschriften. Mit Bildungszitaten wurde keineswegs gegeizt. Natürlich stand dahinter auch der Parteiauftrag, dem „westlichen Schund“ eine eigene überlegene sozialistische Kultur entgegenzusetzen. Herausgekommen ist eine kleine „Weltgeschichte von unten“, die alle ideologischen Vorgaben spielend unterlief. Die Digedags waren notorische Autoritätenverspotter. Und immer traf es die Richtigen: die Mächtigen, Reichen, Aufgeblasenen, gerne auch Polizei und Militär.
Zweifellos hat es der Qualität der Zeitschrift nicht geschadet, dass sie keinen „Markt bedienen“ musste. Es gab in der DDR (wo westliche Comics nicht zu kriegen waren), abgesehen vom deutlich weniger ambitionierten „Atze“, keine einschlägigen Konkurrenten um die Gunst des Publikums. Das hatte zwar etwas von einer Zwangsbeglückung. Doch anders, als man es sonst im traurig-realen Sozialismus erleben musste, zogen die Zwangsbeglückten aus dem Mosaik einen großartigen Nutzen – und das zum unschlagbaren Dauer-Tiefpreis von 60 Pfennigen pro Heft! (Da es im Sozialismus keine Inflation geben durfte, waren alle einmal festgesetzten Preise, egal für welche Güter, eingefroren für alle Ewigkeit.) Selten etwas geändert wurde aber auch an der Höhe der Auflage, die sich mit gut 600.000 Exemplaren dauerhaft als viel zu niedrig erwies. Die Folge war, dass die Mosaik-Hefte zur „Bückware“ wurden, die schwer zu bekommen war und leidenschaftlich gejagt, gesammelt und getauscht wurde. Da sich mit DDR-Geld damals kaum jemand locken ließ, man konnte sich eh nichts Besonderes dafür kaufen (viel wichtiger war es, die richtigen Leute zu kennen, die an der jeweiligen Quelle saßen), wurden besonders begehrte Hefte aus den 50er und 60er Jahren seinerzeit bevorzugt gegen Autoersatzteile, Waschmaschinen oder Farbfernseher eingetauscht. Oder sogar gegen verbotenes Erotik-Material aus dem Westen…
Für die Ostdeutschen blieben Hannes Hegens alte Mosaik-Hefte auch nach der Wende das Nonplusultra. Prominente Künstler wie Uwe Tellkamp und Neo Rauch bekannten sich zu ihrer Mosaik-Begeisterung. Für Heft 1 aus dem Jahr 1955 müssen Sammler inzwischen hohe vierstellige Euro-Beträge hinblättern. (Ich selbst betrachte meine Mosaik-Sammlung als Teil meiner Altersvorsorge.) Westdeutsche Comicfreunde konnten sich hingegen nur zögernd für die Bildgeschichten aus dem Osten erwärmen. Am 8. November ist der Mosaik-Schöpfer Hannes Hegen, der eigentlich Johannes Hegenbarth hieß, 89-jährig in Berlin gestorben.

Veröffentlicht von on Dez. 1st, 2014 und gespeichert unter DR. CLAER EMPFIEHLT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

Hinterlassen Sie einen Kommentar!