heute liest man viel über Eigenschaften von Menschen, die ihren Ursprung in der prähistorischen Zeit haben. Da gibt es beispielsweise den Tunnelblick des Mannes, weil der Steinzeit-Mann seine Nahrung jagen und erlegen musste und dafür gut in die Ferne sehen musste. Oder die wesentlich kürzere Blickweite der Steinzeit-Frau, die aber einen viel weiteren Winkel hatte, weil sie auf Kind und Lager aufpassen und dafür alles gleichzeitig überblicken musste. Auch habe ich mal gehört, dass der Stützpfeiler des Panini-Verlages – das ist der Verlag, der die kleinen bunten Einklebebildchen verkauft, – der Jagd und Sammelinstinkt des Menschen ist. Das find ich nicht schlecht, dadurch habe ich wenigstens eine Ausrede, warum ich vor vielen, vielen Jahren mein ganzes Taschengeld in den Kauf von eigentlich unnötigen Fußball-Sammelbildern gesteckt habe. Doch es gibt da noch eine besondere Spezies, die so genannten Trophäensammler, wahrscheinlich ein Resultat des Jagd- und Sammeltriebs der Urzeitmenschen. Dieser Charakterzug äußert sich in den verschiedensten Bereichen und in den verschiedensten Variationen. Da gibt es beispielsweise die Sorte Mann, die sich am liebsten eine Kerbe in den Gürtel ritzen würde für jede Frau, die sie mal rumgekriegt haben. Eine besonders wichtige Spezies des Trophäensammlers treffe ich regelmäßig im Urlaub an. Vor allem mein letzter Parisaufenthalt hat mir besonders lustige Einblicke gewährt. Das waren die Touristen, die alleine unterwegs waren. Nie genügte es ihnen, eine Sehenswürdigkeit für sich allein zu fotografieren. Immer mussten sie sich selbst davor platzieren, damit – so ist zumindest meine Theorie – jeder sehen konnte, dass sie auch tatsächlich dort waren. Das äußerte sich nicht nur im Ansprechen anderen Touristen mit der Bitte, ein Foto von ihnen zu machen, sondern auch in der intensiven Inanspruchnahme des Selbstauslösers. Die Hauptsache ist für diese Trophäensammler, dass sie den Beweis ihrer Anwesenheit fotografisch dokumentieren. Den skurrilsten Fall der Selbstauslöser-Nutzung habe ich in der Kirche Sacre Coeur miterlebt, als ein Tourist seinen Fotoapparat auf einen der Altare gestellt hat, um sich mit Hilfe des Selbstauslösers grinsend in der Kirche zu knipsen.
Aber auch im juristischen Bereich erkennt man die „Trophäensammler“ im Studium ziemlich frühzeitig. Sie versuchen, so viele Scheine wie möglich zu ergattern nach dem Motto: Je mehr, desto besser. Dieses Motto gilt natürlich auch für die Anzahl der erlangten Punkte im Staatsexamen, was aufgrund der Wichtigkeit für die bevorstehende Zukunft aber auch nicht verwunderlich ist. Der gemeine Jurist wird in den meisten Fällen nicht nach Sympathie, Auftreten oder Selbstbewusstsein beurteilt, sondern ausschließlich an seiner Punktzahl bemessen. Je weniger er im Staatsexamen erzielt hat, desto niedriger ist sein Ansehen. Ich hatte mal einen Bekannten, der schwieg sich beharrlich über seine Examensnote aus. In einem besoffenen Moment verriet er mir zwar nicht seine Examensnote, aber den Grund seines Schweigens. Die Note sei ihm nicht wirklich wichtig, aber er möchte nicht, dass jemand auf ihn wegen seiner Note herabsieht. Er riet mir damals, während meines Referendariats niemandem meine Note zu verraten, weil sonst die Gefahr bestünde, dass niemand mit mir eine Lerngruppe bilden wolle. Du wirst es nicht glauben, aber ich habe seinen Rat beherzigt. Nicht weil ich mich minderwertig oder für minder talentiert halte, sondern weil ich – das stimmt mich wirklich traurig – nicht nur an das Schlechte im Menschen, sondern insbesondere an das Schlechte im Juristen glaube. Tja, was soll ich dazu sagen, traurig, aber leider viel zu oft bestätigt.
Deine Pinar
Wie tröstlich ist da die Erkenntnis des Dichterjuristen Ludwig Thoma, wie sie herkömmlich überliefert wird: „Er war Einserjurist und auch sonst von mäßigem Verstand.“