Recht cineastisch, Teil 31: „In den Gängen“ von Thomas Stuber
Thomas Claer
Irgendwo in Ostdeutschland. Christian (Franz Rogowski), ein schüchterner junger Mann, ist neu im Logistikzentrum eines Großmarktes. Die Kollegen sind am Anfang nicht besonders nett zu ihm, werden es mit der Zeit aber dann doch. Und Christian, der sich zunächst nicht sonderlich geschickt anstellt, lernt eine Menge über die Arbeitsabläufe in den riesigen, tristen Hallen, wie man Paletten bewegt und Regale einräumt. Schließlich macht er sogar die Gabelstaplerprüfung. Die hier arbeiten, angestrengt und schlecht bezahlt, gehören in unserer glitzernden Konsumwelt nicht so recht dazu, gewährleisten mit ihrer unverzichtbaren Tätigkeit aber zuverlässig, dass alles so weiter funktioniert. Nach und nach lernen wir in Thomas Stubers Sozialdrama „In den Gängen“ auch die Vorgeschichte jener niedergedrückten Existenzen kennen. Alle tragen sie biographische Brüche, Frustrationen, Verletzungen mit sich herum.
Nun kann man Christians Job für öde und eintönig halten, und das ist er auch unzweifelhaft, doch schon bald ändert sich alles, als seine einige Jahre ältere Kollegin Marion (Sandra Hüller) aus der benachbarten Süßwarenabteilung in Christians Leben tritt. Zwar ist Marion anderweitig verheiratet, doch hält sie das nicht davon ab, sich dem konsternierten Christian auf recht eindeutige Weise zu nähern, ohne dabei jedoch gewisse Grenzen zu überschreiten. Der binnen kurzem völlig entflammte Christian zeigt daraufhin Marion auf anrührende Weise seine Liebe, etwa indem er ihr zum Geburtstag ein Yes-Torty mit Kerze überreicht. Von nun an ist für Christian jeder Arbeitstag ein Festtag, vorausgesetzt seine und Marions Schicht überschneiden sich, was längst nicht immer der Fall ist. Aber auch das geduldige Warten aufeinander versüßt den beiden Kollegen ihren Alltag nicht unbeträchtlich. Beinahe Tabu bleibt allerdings jeglicher Körperkontakt zwischen ihnen. Lediglich auf einer Betriebsfeier berühren sich einmal ihre Hände, und sie lehnen ihre Köpfe aneinander. Zu einem Kuss kommt es gar nicht; nicht einmal Begrüßungs- oder Verabschiedungs-Küsschen und/oder –Umarmungen sind drin, da die eher süd- und westdeutsch geprägte „Bussi-Kultur“ in Ostdeutschland abseits der Großstädte noch immer verpönt ist…
Dieser kleine, feine, am Ende sehr traurige Film erzählt so etwas wie das wahre Leben jenseits der glamourösen Welt der Schönen und Erfolgreichen. Und er zeigt uns nicht zuletzt, dass hier die zwischenmenschlichen Dramen nicht weniger interessant sind als etwa in Hollywood. Ganz im Gegenteil…
In den Gängen
Deutschland 2017
Regie: Thomas Stuber
Drehbuch: Thomas Stuber, Clemens Meyer
120 Minuten, FSK: 12
Darsteller: Franz Rogowski, Sandra Hüller, Peter Kurth, Andreas Leupold, Michael Specht u.v.a.