Katharina Stosno
Im Laufe eines Jurastudentenlebens zitiert man sich durch die halbe Weltgeschichte rechtlicher Literatur. Nicht selten trifft man dabei auf den Palandt und seine Kommentatoren. Die Fußnote ist schnell gefunden, doch der Mensch dahinter bleibt meist unsichtbar.
Es gibt jedoch Studenten, die in einem kleinen Ort an der Ostseeküste sämtliche Sommerferien ihrer Kindheit verbracht haben. Und wenn solche Menschen dann auch noch zu der fast ausgestorbenen Gruppe der Vorwortleser zählen, kann es sein, dass sie durch aufmerksame Lektüre Unglaubliches aufdecken:
Ein Teil dieses großartigen Kommentars wurde in eben jenem kleinen Ort erstellt, den der durchschnittliche Mensch genau so wenig in Natura kennen wird, wie den unsichtbaren Kommentator, der dort lebt.
Seit zwölf Jahren kommentiert Professor Dr. Helmut Heinrichs Paragrafen des BGB im wunderschönen Kellenhusen. Man kann wohl sagen, dass der liebenswürdige Jurist darin in Übung ist, denn schließlich hat er an 41 Auflagen des Palandt als Autor mitgewirkt.
1928 wurde er in Bremen als Sohn nichtjuristischer Eltern geboren. Sein Lateinlehrer war es, der ihm zum Jurastudium riet. Eigentlich wollte Herr Prof. Dr. Heinrichs Lehrer werden, am liebsten für Mathematik und Naturwissenschaften. Doch diese Kombination schien damals zu exotisch zu sein und so wurde er stattdessen juristischer Lehrer und Ratgeber.
Sein Lateinlehrer bewies ein gutes Gespür – nach dem Studium in Kiel schloss Helmut Heinrichs 1952 sein erstes Staatsexamen als Jahrgangsbester ab. Dabei erreichte er die astronomisch unerreichbaren Noten „schriftlich gut, mündlich ausgezeichnet“. Nachdem er auch das zweite Staatsexamen mit „gut“ bestanden hatte, wurde er Richter in Bremen – insgesamt war er 38 Jahre als Richter tätig; davon ein Jahr beim Strafgericht. 1972 wurde er Senatspräsident am Hanseatischen Oberlandesgericht. Er war außerdem Präsident des Landgerichts Bremen, Präsident des Oberlandgerichts Bremen, Vorsitzender des Prüfungsamtes für die erste juristische Staatsprüfung und Mitglied der Kommission für die Schuldrechtsreform. Für die Kommissionsarbeit ehrte man ihn mit dem Bundesverdienstkreuz.
Seinem ursprünglichen Berufswunsch konnte er als Lehrkraft für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht an der Universität Bremen nahe kommen. Und als wäre dies alles nicht genug, darf nicht unterschlagen werden, dass er seit der 28. Auflage im Jahr 1968 für den Palandt Kommentare verfasste.
Wie wird so ein Kommentar erstellt, wenn man sich in einem kleinen Fischerdorf befindet?
60 Zeitschriften musste er monatlich auswerten. Ein Mal in der Woche war die Bibliothek des Landgerichts Lübeck Arbeitsplatz und ein Mal im Monat das Juridicum in Bremen. Zudem gibt es auch in Fischerdörfern heutzutage Internetanschluss und Zugang zu juristischen Online-Datenbanken. Darüber hinaus besitzt Prof. Dr. Heinrichs eine umfangreiche Bibliothek unterm eigenen Reetdach, die er jedoch in nächster Zeit aufzulösen gedenkt.
Ab der folgenden Palandt-Ausgabe werden wir leider ohne ihn auskommen müssen. Doch auch diese Lücke weiß der Jurist auszufüllen: Als großer Leser sind Romane und geschichtliche Literatur seine Leidenschaft. Und ein nächstes juristisches Projekt ist auch schon in Aussicht: er würde gerne die längst vergessene positive Vertragsverletzung wiederbeleben und einen Zeitschriftenartikel darüber verfassen.
Bei all seinen juristischen Aktivitäten sind ihm allerdings nicht die Paragrafen das Liebste, sondern seine Familie; seine Frau, seine drei Söhne und seine fünf Enkel. Auf einen Enkel konnte er sogar den Paragrafenvirus übertragen. Das lässt uns hoffen: vielleicht kann man auch zukünftig wieder zitieren – „Palandt-Heinrichs“…