Lehrgeld

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

durch Schaden wird man klug, sagt das Sprichwort. Und ein schöner Aphorismus von Arthur Schopenhauer lautet, dass das Geld, um das man geprellt wurde, die beste Investition überhaupt sei, „denn wir haben dafür unmittelbar Klugheit eingehandelt.“ Ja, in der Tat. Wenn ich so zurückblicke, dann ziehen sich solche Missgeschicke, die sich später als heilsame Erfahrungen erwiesen haben, wie ein roter Faden durch mein Leben.

Auf meiner zweiten Interrail-Tour kam ich im Sommer 1992, im Alter von zwanzig Jahren, rucksackbeladen und erschöpft im Bahnhof von Bukarest an. Ich war – in meinem jugendlichen Leichtsinn – allein unterwegs, war hungrig und brauchte ein Nachtquartier, und da traf es sich gut, dass mich da gleich einer auf Deutsch ansprach. Es war ein türkischer Kurde, der jahrelang in Deutschland gelebt hatte, so erzählte er es mir jedenfalls, und nun sei er hier in Bukarest, und er könne mir sehr günstige und gute Lokale zeigen. Und das stimmte sogar, denn er führte mich tatsächlich an einen Ort, wo ich mich für kleines Geld sattessen konnte. Wir kamen ins Gespräch, tranken ein Bier, und er gab seiner Freude Ausdruck, mal wieder eine Unterhaltung auf Deutsch führen zu können. Später lud er mich ein, bei ihm zu Hause zu übernachten. Und ich Idiot ging darauf ein. Nachdem ich meinen Rucksack in seiner Wohnung in einem Plattenbau-Hochhaus abgeladen hatte, in die wir mit einem Taxi gefahren waren, das er bezahlt hatte, kamen seine Freunde, die uns mit ihrem Auto abholten, um noch irgendwohin feiern zu gehen. Nach längerer Fahrt und einem weiteren Bier führte er mich in eine dunkle Ecke, zog blitzschnell sein Messer und raubte mir das Geld, das ich bei mir führte. Dann waren er und seine Freunde verschwunden. Mir blieben nur – immerhin – mein Interrail-Ticket und das, was ich auf dem Leib trug. Die Gauner-Bande, mein Gepäck und meine noch mehrere hundert Mark Reisegeld sah ich nie wieder. Auf rührende Weise haben mir dann zwei rumänische Studenten geholfen, die mich bei sich übernachten ließen und mir sogar noch 20 Mark (was in Rumänien viel Geld war) für die Rückfahrt geliehen haben, damit ich mir unterwegs etwas zu Essen kaufen konnte. Fast drei Tage brauchte ich von Bukarest zurück nach Bremen (man durfte ja nur die langsamen Züge nehmen); die 20 Mark reichten dicke, da ich entweder in den Zügen schlief oder auf Bänken in den Bahnhöfen.

Aus diesen einschneidenden Erlebnissen zog ich nun aber nicht die Erkenntnis, dass man besser zu Hause bleiben sollte und Kurden böse und Rumänen gut seien (später sollte ich auch genau umgekehrte Fälle erleben), sondern die, dass Abenteuer immer auch riskant sind, dass man sich gegen Risiken absichern sollte (z.B. indem man an gefährliche Orte auch als Individualist besser nicht alleine reist), dass im zwischenmenschlichen Bereich in vielen Fällen ein gesundes Misstrauen angebracht ist und dass es insbesondere immer und überall solche und solche Menschen gibt. Vor allem jedoch: wie wichtig es ist, sich als Mensch immer hilfsbereit gegenüber seinen Mitmenschen zu verhalten, denn irgendwann wird der Tag kommen, an dem man selbst auf ihre Hilfsbereitschaft angewiesen ist. Seitdem bin ich, toi, toi, toi, nie wieder im Leben zum Opfer von Kriminalität geworden. (Abgesehen nur von Abmahn-Anwälten, die für mich ganz legale kriminelle Abzocker sind, wie auch Immobilien-Makler, aber das ist ein anderes Thema…)

In anderen Lebensbereichen ist es mir eigentlich ganz ähnlich ergangen. Mit den ersten Aktien, die ich im April 2000 gekauft hatte, war ich schon nach einem halben Jahr mehr als 50 Prozent im Minus. Daraufhin begann ich, mich mit Value Investing zu beschäftigen, und – nach quälend langer Durststrecke – ist es im Laufe der Jahre für mich an der Börse noch sehr, sehr einträglich geworden. Die ersten beiden anvisierten Eigentumswohnungen in Neukölln als Anlageobjekte habe ich 2012 – nach langem Vorlauf und großen Hoffnungen – nicht bekommen; das Geschäft platzte in letzter Minute. Doch was zunächst nach dem verpassten Deal meines Lebens aussah und mich damals schier verzweifeln ließ, relativierte sich später erheblich, weil ich ersatzweise in Spandau zum Zuge kam, wo Jahre später dann bei den Preisen ebenfalls die Post abgehen sollte.

Inzwischen sehe ich es auch so, dass meine schlechten Noten im Jura-Examen auf lange Sicht eher ein Segen waren. Denn wer weiß, wo ich mit guten Noten sonst gelandet wäre? Jedenfalls nicht als kleiner Verlagspraktikant in Berlin im nackten Existenzkampf, wo einen sprichwörtlich die Not erfinderisch gemacht hat. Mit Prädikatsexamen hätte ich das und alles, was noch kommen sollte, schlichtweg verpasst, wäre vielleicht in irgendeiner Kleinstadt verbeamtet worden, hätte mich völlig anders entwickelt und irgendwann womöglich noch meinen Frieden mit der Juristerei gemacht. Wie gut, dass es anders gekommen ist!

Heute bin ich fast geneigt zu glauben, dass solche bitteren Realitäts-Schocks die Voraussetzung sind für alles nachhaltige Gelingen im Leben. Denn glückliche Zufälle wiederholen sich nur selten, und bei wem das Glück am Anfang steht, der wird leicht sorglos und fällt dann später oft umso tiefer. Insofern habe ich wohl wirklich großes Glück gehabt mit meinen vielfachen zunächst schlechten Erfahrungen, aus denen sich dann aber alles ergeben hat, was später so gut geklappt hat…

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Okt 8th, 2018 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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