Das kolossale Europarechts-Handbuch von Schulze und Zuleeg
Jean-Claude Alexandre Ho
Es ist mittlerweile ein Gemeinplatz, dass Europarecht die nationalen Rechte zunehmend beeinflusst. Sichtbar wird das Ausmaß europäisierten Rechts in dem knapp zweitausend Seiten starken „Europarecht. Handbuch für die deutsche Rechtspraxis“. An Überblick gebender Literatur zum europäisierten Recht mangelt es zwar nicht: So sind zu vermelden „Zivilrecht unter europäischem Einfluss“ von Gebauer/Wiedmann, „Europäisches Verwaltungsrecht“ des EuGH-Richters von Danwitz und „Europäisches Strafrecht“ von Hecker. Doch die genannten Bücher weisen teilweise ein Manko auf: Eine isolierte Darstellung etwa allein des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts kann den Bedürfnissen der Praxis nicht genügen, da Rechtsfragen im europäischen Recht einer anderen Systematik folgen als im nationalen Recht. Beispielsweise ist das im BGB geregelte Verbraucherschutzrecht, das mithin nach deutscher Systematik dem Privatrecht zuzuordnen ist, im europäischen Recht in den Politikbereichen Binnenmarktförderung sowie Verbraucherschutzpolitik angesiedelt.
Das Europarecht-Handbuch wagt sich auf einen anderen Weg: Nach altbewährter deutscher Tradition teilt es sich auf in einen allgemeinen, den Grundlagen des Europarechts gewidmeten Teil, und einen besonderen Teil, der sich in die im deutschen Recht vertrauten juristischen Arbeitsfelder untergliedert. Die Palette reicht vom Kartellrecht über das Agrarrecht bis zum Strafrecht und umfasst nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ im materiellen Europarecht wie das Beihilfenrecht; auch bisher der Europäisierung eher unverdächtige Rechtsgebiete wie Steuerrecht und Sozialrecht werden behandelt. Etwas eklektisch sind teilweise die Rechtsgebiete angeordnet: So erschließt sich nicht, warum das traditionell eng mit dem Kartellrecht verzahnte Beihilfenrecht erst acht Kapitel später behandelt wird. Angeboten hätte sich auch, das Zollrecht in unmittelbarer Nachbarschaft zum Steuerrecht anzusiedeln. Ansonsten ist die Auswahl der Rechtsgebiete mit insgesamt 27 entsprechenden Kapiteln recht umfassend ausgefallen. Für die einzelnen Rechtsgebiete konnte der Verlag ganz überwiegend ausgewiesene Experten als Autoren gewinnen, teilweise sogar auf Hausautoren zurückgreifen wie etwa Mäger im Kartellrecht.
Angesichts des Preises wird sich das Desiderat der Herausgeber – das Handbuch möge Studenten und Referendare praxisnah ausbilden – vor allem durch den Gang in die Bibliothek erfüllen lassen. Dem Praktiker wird das Handbuch als nützliches Nachschlagewerk dienen können. Da das Wagnis einer Gesamtschau des europäisierten Rechts insgesamt gelungen ist, sollte das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Anlass sein, eine Neuauflage des Handbuchs zu wagen.
Schulze, Ingo/Zuleeg, Manfred (Hrsg.)
Europarecht. Handbuch für die deutsche Rechtspraxis
Nomos Verlag,1. Auflage, Baden-Baden 2006
1994 Seiten€ 148,ISBN 978-3832913342